Eine tragische Liebesgeschichte. Die radikale Linke und die Krise

Samstag 17-19 Uhr

Mit Rüdiger Mats

In kapitalistischen Krisen geht es Menschen an den Kragen – sichtbar krasser noch als bei gut laufenden Geschäften. Trotzdem liebt die radikale Linke die Krise: Ihren Texten ist die Freude über entwertete Staatsanleihen, pleitegehende Banken und überforderte Staatenlenker deutlich anzumerken.

Der rationale Kern dieser Freude ist der Protest, den die Krise hervorruft – zwar nicht in einem systemerschütternden Umfang, aber immerhin doch so weit, dass die linksradikale Kritik graduell weniger randständig erscheint als in Zeiten der Massenzufriedenheit.

Die in der radikalen Linken vorherrschende Auffassung sieht den Kapitalismus seit den 70er Jahren in einem strukturellen Verwertungsproblem („tendenzieller Fall der Profitrate“). Durch die gezielte Ausweitung des Kreditwesens sei seitdem der volle Ausbruch der Krisensymptome herausgeschoben worden, was aber erstens nicht vollständig und zweitens nicht unbegrenzt möglich sei. Diese Interpretation ist ökonomisch falsch akzentuiert und vor allem politisch fatal.

Die agitatorische Konzentration auf einen irgendwann bevorstehenden „großen Knall“ (den übrigens schon die K-Gruppen der 70er und 80er in einer Zeit erwartet haben, die rückblickend als Prosperitätsphasen anzusehen sind) begünstigt eine Politik des Alarmismus, demgemäß es immer wieder einzigartige „Gelegenheiten“ sozialer Proteste gibt, die dringend zur Intervention genutzt werden müssen, weil sie sich so schon in einem halben Jahr vielleicht nicht mehr zu bieten scheinen. Die Folge ist eine Tradition von Kampagnenpolitik (Seattle 1999, Genua 2001, Hartz IV-Proteste ab 2002, Heiligendamm 2007 um nur ein paar Highlights zu nennen) die paradoxer Weise zugleich mit der Verwässerung inhaltlicher Positionen im Rahmen von Bündnispolitik die Szenegebundenheit linksradikaler Politik verstärkt hat. Eine nachhaltige Organisations- und Theorieentwicklung wurde in dieser Zeit höchstens in Ansätzen erreicht.

Gibt es zu dieser Entwicklung Alternativen, ohne in lesegruppenmäßige Nabelschau zu verfallen?